Achtsamkeit. Irgendwie in aller Munde und deshalb vielleicht manchmal auch ein bisschen nervig. Dennoch kann ich kein größeres Ausrufezeichen hinter dieses Thema setzen. In diesem Beitrag wirst Du erfahren, weshalb wir als Gesellschaft Achtsamkeit im letzten Jahrzehnt mehr oder weniger verlernt haben, warum es sich lohnt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, und welche ersten Schritte Du konkret in Richtung achtsameres Leben gehen kannst.
Evolution ist ein Jahrtausendwerk – Weshalb wir Achtsamkeit verlernt haben
Stelle Dir vor, Du möchtest etwas Neues lernen – eine Sportart, ein Instrument, irgendetwas – und investierst jeden Tag ordentlich Zeit, eine Stunde oder sogar zwei. Nach einer Woche bemerkst Du schon einen deutlichen Fortschritt, nach einem Jahr bist Du definitiv kein:e Anfänger:in mehr, und nach ein paar Jahren bist Du richtig gut darin! Weil Du konstant viel Zeit investiert und geübt hast. Genau das praktizieren wir quasi unbemerkt täglich im umgekehrten Sinne, wenn es um unsere Aufmerksamkeit geht. Achtsamkeit bedeutet, voll präsent zu sein im Hier und Jetzt, im Umgang mit uns selbst, mit den Menschen, mit denen wir Zeit verbringen, oder bei den Tätigkeiten, die wir ausüben. Durch unseren (digitalen) Konsum investieren wir jedoch jeden Tag viel Zeit, um genau das zu verlernen. Smartphone sei Dank können wir innerhalb von fünf Minuten vom Wetter in Berlin zu unserer Freundin in den Schwedenurlaub und dann in ein virtuelles Kleidungsgeschäft wechseln. Das birgt sicher Vorteile, hat aber auch einen Haken. Unser Gehirn ist nicht dafür ausgelegt. Die Fülle an Information, Werbung und Konsumverlockung, der wir ständig ausgesetzt sind, ist oft zu viel für unser Nervensystem, das die Filter- und Interpretationsarbeit leisten muss und irgendwann vielleicht sogar in einen automatischen I don’t care Modus geht, weil es mit den ständigen Entscheidungen wie wichtig – unwichtig, brauche ich – brauche ich nicht oder wahr – unwahr irgendwann überfordert ist. Wir trainieren also jeden Tag Zerstreuung, die Verkürzung unserer Konzentrationsspanne, ein häufiges Springen in Zeit und Raum und verlernen zeitgleich einen achtsamen Umgang mit uns selbst und unserer Umwelt. Das menschliche Gehirn hat sich über Jahrtausende entwickelt, das schnelllebige Digitalzeitalter existiert im Vergleich dazu seit einer gefühlten Sekunde. Die Biologie des Menschen bevorzugt immer noch wenig & langsam. Steht das im Kontrast zu unserem Lebensstil, wächst Unzufriedenheit. Gereiztheit, innere Unruhe, Motivationslosigkeit oder Erschöpfung können mögliche Konsequenzen sein.
Kennst Du das, wenn Du eine längere Aufgabe durchziehen willst, Dich aber ständig mit Blicken auf das Handy oder anderen Dingen selbst ablenkst, weil… einfach darum? Oder Du verbringst Zeit mit Freunden, verlässt aber innerlich doch ab und zu den Raum, um per Nachricht oder Social Media zu checken, was bei anderen so los ist? Es gibt viele Beispiele. Sie dienen Dir als Hinweis, dass in Sachen Achtsamkeit Potenzial bei Dir besteht. Ich nehme mich da selbst nicht aus.
Mehr Achtsamkeit – Was bringt mir das?
Viel und alles. Wirklich. Das Potenzial und die Vorteile können, je nach Person und Lebensphase, in völlig unterschiedliche Richtungen gehen. Ich nenne ein paar Beispiele.
- Beim Sport ist es von großem Vorteil, wenn leistungshemmende Gedanken und Gefühle hier und jetzt wahrgenommen werden können, also dann, wenn sie geschehen. So kannst Du mit mentalen Techniken entsprechend noch rechtzeitig reagieren und Dein Können in der Situation gut abrufen. Eine höhere Leistungskonstanz ist häufig die Belohnung. In gutem Kontakt mit sich selbst zu stehen, hat zudem eine verletzungspräventive Funktion.
- Bist Du bei Arbeitsprozessen oder anderen Tätigkeiten achtsamer, kann es Deine Produktivität und Zufriedenheit steigern.
- Bei einem sehr aktiven Kopf und häufigem Gedanken-Rattern hilft Achtsamkeit, mehr Ruhe in das System zu bringen und besser abzuschalten.
- Ein achtsamer Umgang mit sich selbst und seinem Umfeld begünstigt auch Aufbau und Erhalt von guten Beziehungen zu anderen Menschen.
- Du kommst wieder mehr in Kontakt mit Dir selbst und Deinen Bedürfnissen und kannst so besser auf sie eingehen.
- Unterm Strich eine höhere Lebenszufriedenheit.
Bei meiner Arbeit mit Athlet:innen konnte ich in dem Zusammenhang vor allem Leistungssteigerung bzw mehr Konstanz, Verringerung von stressbedingten Schmerzsymptomen und eine höhere grundsätzliche Zufriedenheit feststellen.
Okay, mehr Achtsamkeit. Aber wie fange ich an?
Wenn Du Dich mehr mit dem Thema auseinandersetzen möchtest, dann gehe einfach die ersten Schritte. Du kannst Dir ein Buch zu dem Thema besorgen, jemanden anheuern, der/die sich damit auskennt oder einfach für einen gewissen Zeitraum am Tag auf digitale Medien verzichten und schauen, wohin Dich diese Erfahrung führt. Es geht darum, erst einmal zu Dir zu kommen. Wenn Du statt drei Stunden nur zwei Stunden jeden Tag am Handy verbringst, womit füllst Du dann die gewonnene Stunde?
Den Weg zu mehr Achtsamkeit über Social Media (Instagram, Facebook, Youtube usw.) zu begehen, empfinde ich bei diesem Thema als kontraproduktiv, weil die Natur des Formats Achtsamkeit eher untergräbt. Zwar können hier Impulse gesetzt werden, aber äußere Reize zu reduzieren und bewusst Zeit mit sich selbst zu verbringen, ist Anfang und Kern der Sache. Und sei es nur für fünf Minuten. Ich gebe Dir zum Schluss eine kurze einfache Übung mit, die Du nach dem Lesen direkt da machen kannst, wo Du Dich gerade befindest.
Schließe Deine Augen, nimm zwei bis drei tiefe Atemzüge, um bei Dir selbst anzukommen. Spüre einfach für einen Augenblick in Dich hinein: Wie fühlt sich Dein Körper gerade an? (eher leicht oder schwer, ruhig oder unruhig, wach oder müde?) Fällt Dir irgendeine Stelle besonders auf? Wie ist Deine Stimmung gerade? Gibt es irgendein Gefühl, das im Vordergrund steht? Gibt es etwas, was Dich im Augenblick besonders beschäftigt? Nimm die Empfindungen wahr, ohne sie zu bewerten. Sie sind eine Rückmeldung.
Bleibe in diesem Moment der Selbstwahrnehmung, solange wie Du möchtest, und wiederhole es die kommenden Tage einfach nach Belieben.